"Wir bieten zwei Praktikumsplätze
für mindestens 12 Monate an, diese
werden nicht entlohnt, aber belohnt
mit vielen Pferden, toller Atmosphäre,
Natur pur, freie Unterkunft und
Verpflegung sowie eine freie Box für
Dein Pferd. Bewerben solltest Du
Dich nur, wenn Du gut reiten kannst,
unsere Pferde versorgst, bei der
Arbeit nicht auf die Uhr schaust,
mit Hengsten sicher umgehst u. gewohnt
bist, selbständig zu arbeiten."
So oder ähnlich häufen sich derzeit Stellenanzeigen
in Pferdefachzeitschriften und zahlreichen
Internetforen. „Was sich hier hinter einem
tollen Praktikumsplatz tarnt, ist nichts anderes
als die zunehmende Praxis vieler Betriebe, eine
Arbeitskraft für billiges Geld zu fi nden“, stellt
Berufsbildungsexpertin Kerstin Zimmer von der
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
fest.
Wie häufig junge Menschen, meist pferdebegeisterte
Mädchen, auf diese unseriösen
Praktikumsangebote reinfallen, beobachtet die
Agraringenieurin sehr genau, denn auf ihren
Schreibtisch kommen die Briefe zahlreicher enttäuschter
und ratsuchender Praktikantinnen,
die sich am Schluss nur noch ausgenutzt fühlen,
weil sich der Betrieb am Ende nicht mehr
an den versprochenen Reitabzeichenlehrgang
erinnern kann, die Praktikumsbescheinigung
nicht geschrieben wird und die angekündigte,
anschließende Berufsausbildung zum Pferdewirt
in diesem Betrieb gar nicht möglich ist.
Selbst die Hoffnung, dass ein vorgeschaltetes
Praktikum auf die Pferdewirtausbildung angerechnet
wird, platzt, da die zuständigen Stellen
ein derartiges Praktikum grundsätzlich nicht
anerkennen. „Bitte helft mir!“ steht dann nicht
selten am Schluss der Briefe.
Promotion
„Wenn Pferdeliebe in die Versklavung führt, dann werden wir als Industriegewerkschaft
IG Bauen-Agrar-Umwelt handeln“, sagt Vorstandsmitglied
Bärbel Feltrini und macht allen
getäuschten Praktikanten Mut, sich an
die für Pferdewirte frei geschaltete Hotline
01801.442281 zu wenden. „Wir werden allen
Anrufern gerne helfen“, so das für Jugend und
Bildung zuständige Vorstandsmitglied weiter,
„unseren Mitgliedern aber gewähren wir zusätzlich
zur Beratung selbstverständlich auch
kompetenten Rechtsschutz und scheuen uns
nicht, die guten Rechte der getäuschten Praktikanten
vor Gericht einzuklagen. Wer sich mit
unseren Mitgliedern anlegt, der legt sich auch
mit unserer Rechtsabteilung an und da wird ein
Praktikumsgeber schnell zweiter Sieger!“
Pferdewirtausbilder Hans-Heinrich Jörgensen
aus Großenkneten bringt es auf den Punkt: „Die
deutschen Sozial- und Steuergesetze gelten
auch für Pferdebetriebe!“. Ein freiwilliges Praktikum
in einem Pferdebetrieb ist in Wirklichkeit
ein ganz normales steuer- und sozialversicherungspfl
ichtiges Arbeitsverhältnis, das nach
Ansicht des Bundesarbeitsgerichts angemessen
entlohnt werden muss. Als Mindestbruttolohn
ist derzeit von ca. 7 EUR/h für eine/n Hilfsarbeiter/
in auszugehen.
Selbst bei der üblichen Praxis, Praktikanten
lediglich mit freier Kost und Logis sowie einer
freien Box abzufi nden, werden faktisch Lohnzahlungen
von knapp 700 Euro als Sachleistungen
gezahlt, die alle Freigrenzen überspringen
und folgerichtig steuer- und versicherungspfl
ichtig sind.“
Wehrt sich ein/e Praktikant/in
gegen ein unseriöses Praktikum, wozu er/sie
noch bis zu drei Monate nach Praktikumsende
Zeit hat, dann drohen dem Betrieb jährliche
Nachzahlungen von circa 15 000 Euro und oft zusätzlich noch die Kosten für ein Bußgeld- und
Strafverfahren. Das Hinterziehen von Sozialversicherungsbeiträgen
und Steuern wird von deutschen
Gerichten nicht mehr als Kavaliersdelikt
angesehen. „Freiwillige Praktika sind nichts
anderes als Schwarzarbeit“, warnt Bärbel Feltrini
vom Vorstand der IG BAU alle unseriösen
Arbeitgeber, „wir werden Praktikumsgeschädigten
helfen, sich gegen unseriöse Betriebe
zur Wehr zu setzen.“ Bei der Bekämpfung der
Schwarzarbeit ist sich die IG BAU oftmals auch
der Unterstützung der Arbeitgeber sicher, denn
Pferdeställe, die ständig mit Schwarzarbeitern
kalkulieren und so den Markt ruinieren, gefährden
zunehmend die seriös arbeitenden Betriebe
in Deutschland. Es gibt keinen Mangel an
Arbeitsplätzen in Deutschland, nur an legalen
fehlt es.
Damit es nicht zu Missverständnissen
kommt: Die IG BAU prangert nur freiwillige,
ungesetzliche Praktika an. „Praktika zur Berufs-
findung oder innerhalb einer geordneten Berufsausbildung
sind notwendig, absolut sinnvoll
und generell nicht zu kritisieren“, sagt der in
der Berufsausbildung zum Pferdewirt engagierte
Pädagoge Dietbert Arnold und Betreiber des
Internetforums www.pferdewirtpruefung.de,
„denn nur ein Schulferienpraktikum von 2 bis
4 Wochen kann vermeiden helfen, dass der
Traumberuf Pferdewirt zum Albtraum wird.“
Für alle Berufsanfänger, deren Eltern und deren
Lehrer haben die Pferdexperten der Industriegewerkschaft
Bauen-Agrar-Umwelt eine Checkliste
entwickelt, die helfen soll, unseriöse Praktika
schon im Vorfeld zu erkennen (siehe rechts).
Dann wird es vielleicht der Vergangenheit angehören,
dass Manu schreibt: „Ich habe ein Riesenproblem:
Ich habe ein 15-monatiges Praktikum
gemacht, bitte helft mir!“ oder Carina
hinterher warnt: „MACHT ES BLOSS NICHT!“
Nachzahlung eines Pferdebetriebes für ein einjähriges
Praktikum, der mit folgender Anzeige erfolgreich suchte:
(Quelle: IG BAU)
Brutto-Lohn
(€/Monat)
gem.
Steuerklasse VI
ca. 1.400,00
Lohnabrechnung
Lohnsteuer
(incl. KiSt. u. Soli)
414,09
Sozialversicherung AN 301,00
Sozialversicherung AG 317,80
Nachzahlung AG p.a. 570,- + MwSt. 12.874,68
Daran sind unseriöse, langfristige Praktika zu erkennen:
_ länger als Schulferien
_ Vorkenntnisse werden verlangt
_ keine Entlohnung
_ Arbeitsleistung steht im Vordergrund
_ eigenständiges Arbeiten wird verlangt
_ einzige Arbeitskraft
_ Lohnsteuerkarte wird nicht verlangt
_ keine Krankenversicherung (Sozialversicherungen)
_ keine monatliche Lohnabrechnung
_ keine Anmeldung bei der Berufsgenossenschaft
_ Geldzuwendungen ohne Quittung
_ kein Arbeitsvertrag
_ kein Urlaub
_ Anrechnung auf spätere Berufsausbildung zum Pferdewirt wird versprochen
_ Aussicht auf am Praktikumsende stattfindende Qualifikationen (Reitabzeichen, Trainer C, usw.)
_ Praktikant/in fest in Arbeitsprozess eingefügt („Ohne Dich geht es nicht!“)
_ keine Praktikumsbescheinigung
_ Arbeitsunfälle werden vertuscht
(Quelle: IG Bauen-Agrar-Umwelt)